Wir sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und unterstützen die Aktion #allesdichtmachen durch sachliche Kommentare, satirische Beiträge und Bekundungen der Solidarität und des Dankes an die beteiligten Schauspieler in Form kurzer Videos und Texte.
Machen Sie mit und senden Sie Ihren Beitrag an wissenschaft@wissenschaft4allesdichtmachen.de.
Videos
Besuchen Sie uns auf YouTube:
wissenschaft4#allesdichtmachen
Vorbemerkungen
Im Grundgesetz stehen die Freiheit von Wissenschaft und Kunst direkt nebeneinander. Wird die eine eingeschränkt, betrifft das früher oder später auch die andere. Beide sind miteinander verknüpft, besonders da, wo sich Wissenschaft mit Kunst als Forschungsobjekt beschäftigt. Doch Wissenschaft hat auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung.
In diesem Sinne sind Wissenschaftler eingeladen, sich sichtbar und hörbar zu Wort zu melden. Machen Sie mit und schicken Sie uns Ihre Texte an wissenschaft@wissenschaft4allesdichtmachen.de!
Freiheit in Wissenschaft und Kunst
Tobias Unruh (Physik, Universität Erlangen-Nürnberg)
Wissenschaft hinterfragt alles
Es gibt keine Wahrheit, die nicht hinterfragt werden darf. Die Schauspieler der Aktion #allesdichtmachen haben genau das getan - auf satirische Weise nachgefragt.
Seit über einem Jahr werden in Deutschland grundrechtseinschränkende politische Maßnahmen zur Eindämmung einer ansteckenden Infektionskrankheit umgesetzt. Wissenschaftliche Evidenz für die Eignung, Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit dieser Maßnahmen ist nicht erkennbar. Insbesondere werden die durch die Maßnahmen verursachten gesundheitlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Schäden bei der Beurteilung ihrer Verhältnismäßigkeit in keiner Weise angemessen berücksichtigt. Schon gar nicht findet ein öffentlicher und ergebnisoffener Diskurs zu diesem Thema statt.
Die Aktion #allesdichtmachen von Schauspielern greift das Fehlen dieses Diskurses auf. Auch wenn die Künstler massiv von den Maßnahmen betroffen sind, so ist deren Kritik nicht primär auf ihre persönliche Situation ausgerichtet. Vielmehr streiten sie für die Freiheit der Meinung, der Kunst und der Wissenschaft, für Pluralismus, Ehrlichkeit in der Diskussion und für Offenheit. Sie geben denen eine Stimme, die ansonsten nicht gehört werden.
Sie leugnen nicht die Gefährlichkeit der Krankheit, nicht den Tod und das Leid. Sie fordern lediglich diejenigen heraus, die das Hinterfragen von Maßnahmen, Lockdowns, staatlichem und gesellschaftlichem Umbau verhindern wollen. Wie kann ein Demokrat diejenigen beschimpfen, diffamieren und bedrohen, die eine offene Kommunikation einfordern? Wie kann ein Rundfunkrat fordern, Schauspieler, die öffentlich die Kommunikationskultur von Politik und Medien kritisch hinterfragen, nicht mehr zu beschäftigen? Das haben alle gehört. Auch wenn man solche Aussagen zurücknimmt, ist der erzieherische Effekt erzielt. Das darf nicht folgenlos bleiben.
Die Aktion #allesdichtmachen war und ist ein großer Erfolg und - ganz anders als Dieter Nuhr behauptete - unbedingt notwendig.
Agnes Imhof (Islamwissenschaft, Universität Erlangen-Nürnberg)
Gedankenfreiheit ist die Basis der Demokratie
Für die Unterstützung von #allesdichtmachen ist es unerheblich, ob man mit allen Statements übereinstimmt oder nicht. Satire, Kritik, Diskussion – das alles sind demokratische Elemente, sie sind der Lebensatem der Demokratie. Deshalb sollte es wachsam machen, wenn genau dieser Lebensatem diskreditiert oder gar als „rechtsradikal“ diffamiert wird.
Demokratie lebt vom Widerspruch. Den Schauspielern von #allesdichtmachen vorzuwerfen, sie verhöhnten die Pfleger und die Coronatoten, ist heuchlerisch. Kein einziger hat das getan. Dieser Vorwurf ist seinerseits eine Verhöhnung all derer, die seit nunmehr über einem Jahr unter massivsten Einschränkungen durch die Maßnahmen leiden. Deren Lebensgrundlage zerstört wurde. Deren Lebensinhalte auf unabsehbare Zeit verschwunden sind. Deren Kinder leiden, während sie zusehen müssen, hilflos, ohne eine Chance, dieses Leid zu mildern. Die von selbsternannten Maskenwarten gegängelt werden. Die sich nach Freiheit sehnen, und deren Alltag zu einem traumatisch erlebten Alpdruck geworden ist, bestimmt von Angst, Unterdrückung und gegenseitigem Misstrauen.
Die Kurzfilme von #allesdichtmachen führen der Gesellschaft diese Kollateralschäden beispielhaft vor Augen. Sie geben denen Stimme und Gesicht, die nicht vorkommen: mit Empathie, analytischer Tiefe und künstlerischer Kraft. Einwände, die gehört werden müssen. Wenn daraufhin ein Rundfunkrat ernsthaft Berufsverbot für kritische Schauspieler fordert, ist das für eine Demokratie mehr als bedenklich.
Als ich mich als Fünfzehnjährige zum ersten Mal für Gedankenfreiheit begeisterte, tat ich das nicht, um mich in dem Moment, da sie wirklich notwendig würden, feige weg zu ducken. Für jede Demokratie muss es ein mehr als schrilles Warnsignal sein, wenn nicht frei gedacht werden darf. Wenn nicht gescherzt werden darf. Nicht gespielt werden darf. Es führt schmerzhaft vor Augen, dass die Fähigkeit zum kritischen Lesen in der Gesellschaft offenbar keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Die Fähigkeit, einen Text oder einen Film kritisch, d.h. mit der Fähigkeit zur Unterscheidung, kurz: analytisch zu betrachten, ist eine demokratische Basiskompetenz. Offenbar braucht man darin hierzulande wieder Nachhilfe. Zu diesem Zweck werden wir kurze Interpretationshilfen für die einzelnen Videos zur Verfügung stellen.
Ole Döring, Philosophie und Sinologie, Hunan Normal University
Wissenschaftsfreiheit, philosophisch gesehen
Deutschland im Frühjahr 2021
Die Anlässe, die zum Zusammenschluss des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit geführt haben, sind Ausdruck und Auswüchse einer über Jahrzehnte aufgebauten Fehlentwicklung. Es hätte deshalb nicht einmal symbolischen Wert, unsere Aktivitäten darauf zu beschränken, auf Diffamierung, Diskriminierung und Ausgrenzung von Wissenschaftlern zu reagieren. Auch wenn das überaus wichtig ist, ist das im Grunde eine Aufgabe der staatlichen Organe. Der Diskurs der Wissenschaftler muss da ansetzen, wo wir uns als solche selbst bestimmen und etwas Einzigartiges zu sagen haben.
Die Freiheit der Wissenschaft steht zusammen mit jener der Kunst, der Forschung und der Lehre im Grundgesetz. Im Zusammenhang der bürgerlichen Grundrechte bestimmen diese Praxisfelder das Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Die benannten Freiheitsrechte verstehen sich alle aus einem Gedanken, der den Ton angibt. Daraus speist sich die Schutzwürdigkeit und der Garantieauftrag unterschiedlicher Konfigurationen aus Ansprüchen und Abwehraufträgen. Die sind ihrerseits sinngetreu so anzuordnen, dass ihre Organisation und Praxis möglichst ohne Reibungsverlust effizient dem Zweck dienen kann, ein Leben in Würde zu ermöglichen. Auf die Freiheit zahlt ein jeder in der Währung der Verantwortung ein. Der Staat ist einfach ermächtigt und doppelt beauftragt die Freiheit pro-aktiv zu schützen und zu gewährleisten. Ein besonderer Schutz- und Förderauftrag ergibt sich für die Vorbereitung der Kinder auf ihren Beitrag als Bürger unsere Demokratie.
Im Grundgesetz kommt die Anordnung der Freiheit apodiktisch zu Wort. Das heisst: mehr ist darüber seitens staatlicher Normierung nicht zu sagen. Dass es in diesen Worten ausgedrückt ist, heisst aber nicht, dass wir diese Worte als den Ausdruck der Norm selbst verstehen können, wie es zum Beispiel für "das Wort Gottes" beansprucht wird. Das Grundgesetz ist säkular und beruht auf Philosophie (Vernunft-Aufklärung), nicht auf Religion oder säkularen Glaubenssätzen. Die Formeln und Fälle der Freiheit sind Varianten vieler Möglichkeiten, einen Grundgedanken zum Ausdruck zu bringen, der über Sprachen, Kulturen und Geschichten hinaus weist. Diese Vielstimmigkeit auf dem einen gemeinsamen Nenner zu orchestrieren ist Sache der Gesellschaft bzw. des deutschen Volkes. Ob man mehr oder weniger Bereiche konkret privilegiert, ist Sache des Diskurses. Dass dieser dabei immer im Rahmen der bürgerlichen Grundrechte bleiben muß um Relevanz zu beanspruchen (alles andere ist ggf. Quatsch, dem jeder im Privaten nachgehen kann, solange das niemanden weiter betrifft), versteht sich von selbst und hat Folgen für jeden Einzelnen. Verantwortung dient im Diskurs immer der Präzision, Orchestrierung und Vertiefung der politischen Harmonie.
Hier liegt der Grund für die Missverständnisse, z.B. der Staat könne "Freiheiten" gewähren, und für die Missbräuchlichkeit. Wie das Menschenrecht ist auch die Freiheit philosophisch unteilbar. Der jeweilige Plural ist in pragmatischen Anwendungsfällen begründet, darf aber nicht zur Trivialisierung, Marginalisierung oder Entwertung der Freiheit dienen. Streng genommen dürfen wir diesem Begriff noch nicht einmal einen Namen geben, um kulturalistische Übergriffe zu vermeiden - aber diese Strenge ist übermenschlich. Die Pluralisierung wäre zuerst ein Kategorienfehler, dann aber zugleich ein Übergriff oder eine Entmündigung, denn sie eröffnet einen Kampfplatz ohne Basis für Regeln und Gericht zu urteilen. Freiheit ist die Bedingung, im Rahmen der Möglichkeit vernünftiger Annahmen, menschenwürdiges Leben allein aus den Fähigkeiten des Menschen heraus zu gestalten. Wissenschaftsfreiheit betont denjenigen Bereich unseres gestaltend reflektierenden Handelns, der auf die Gesamtheit des Wissens aus ist. Jede ernst gemeinte positive und enge Definition von Menschenrecht als Menschenrechte oder Freiheit als Freiheiten bewirkt eine konzeptuelle und praktische Verarmung.
Kommunikation ist immer strategisch. Darin liegt eine Versuchung, die Bequemlichkeit der eigenen Unmündigkeit gut sein zu lassen, indem jemand anders uns den Ausgang weist - sei es mit oder ohne unser Wollen. Das ist entweder ein Vertrauensvorschuss oder Duckmäusertum. Die Hermeneutik macht Mut zu vertrauen und bescheiden zu bleiben, indem man die eigene Würde im anderen anspricht. Macht ist ungerecht, wie das Gesetz blind ist. Deshalb müssen beide am Maßstab eines vernünftigen Naturrechts den Motiven des Subjekts Geltung verschaffen, diesem Raum und Perspektive zur Selbstbestimmung offenhalten, um dann im konkreten Einzelnen zu ermitteln, was der Fall sein soll. Das ist der Sinn von Verfahren und Urteil. Auch sie beruhen auf verbindlichen Vorentscheidungen. Es gibt keine Freiheit der Machtausübung, denn alle bürgerlichen Freiheitsqualitäten dienen vor allem als Gegengewicht, aus eigenem Vermögen der Subjekte, um Macht zu balancieren und einen Standard (zumindest normativ) allgemeiner Gleichheit zu setzen. Es gibt auch keine Freiheit der Jurisdiktion, denn diese ist bloß eine abhängige Dienstleistung (soweit sie nicht positivistisch wird, also mit Macht anstatt Gerechtigkeit umgeht).
Digital amplifizierte Wirkmacht zwingt die Subjekte fortlaufend in Mikro-Entscheidungen. Diese durch abwägende Einordnung zu begründen, ist kaum möglich, denn Bedeutung, Signifikanz und Relevanz treten in den Nebel der Reizüberflutung und ins Grundrauschen der Aufmerksamkeitsrufe, geben sich nicht im gewohnten Verfahren zu erkennen. Die Überforderung verlangt neue Entscheidungen: Kompetenz lernen oder aufgeben und sich treiben lassen? Die Schere klafft entsprechend weiter auf, immer mehr muss investieren wer Souveränität behaupten will, immer leichter fällt es sich im Betrieb zu arrangieren. Umso wichtiger ist es Grundlegendes: Gesagt und gemeint sind zwei Seiten der Medaille, um die es eigentlich geht. Beim Meinen kommt es nicht darauf an, dass es "gut" ist sondern integer: ehrlich, selbstbewusst, verantwortungsvoll. Der innere Dialog schafft den Freiraum zur Reflektion und hält die Option offen, sich frei zu verstehen.
Der Ort, an dem sich die Validität des Diskurses entscheidet, ist der Produktionsprozess von Wissen. Wahrhaftigkeit ist unsere größte Hoffnung bei der Suche nach Wahrheit im Verstehen der Wirklichkeit voranzukommen. Den elementaren Beitrag der Subjektivität zu dieser geistigen Wertschöpfung schützt das Grundgesetz. Deshalb beginnt die Anordnung der zu schützenden Handlungstypen mit der Kunst, wendet sich dann der Hypothesen gebenden Wissenschaft zu, um anschließend die noch spezifischeren Bereiche Forschung und Lehre anzusprechen. Diese bilden den institutionell-organisationalen Rahmen, in dem Produktion von Wissen ökonomisch, rechtlich und administrativ beginnen kann. Hier werden Motivation und Modelle vorsortiert, Karrieren und Qualität vorentschieden. Im Grundsatz müssen alle diese pragmatischen und normativen Entscheidungen dazu geeignet sein, Freiheit zu unterstützen - auf der individuellen, administrativen und politischen Ebene. Das heisst, die Verteilung von Mitteln und Symbolkapital, die materielle Ausstattung und die regelnden Verfahren dürfen die kreative Entfaltung genuin wissenschaftlichen Handelns nicht behindern oder verfälschen.
Wenden wir uns daher den organisationsökonomischen und technologischen Herausforderungen zu. Organisationsökonomisch steht die Wissenschaftsfreiheit im Zusammenhang mit der Informations- und Pressefreiheit. Die Pressefreiheit entspricht dem Auftrag, der Gesellschaft zu ermöglichen, "sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt". Eine Zensur findet Kraft institutioneller Eigenmacht dann statt, wenn die Wissenschaft durch außer-wissenschaftliche Kriterien evaluiert und dementsprechend finanziert wird (und unterscheidet sich dementsprechend von der legitimen Steuerung im Sinne der Zweckbestimmung). Eine Zensur findet Kraft sozialdarwinistischer Marktmacht statt, wenn nicht Ehrlichkeit, Transparenz und Qualität als stratifizierende Kriterien gesichert werden und andererseits die Kompetenz kritisch zu lesen unterentwickelt bleibt.
Für den Wissenschaftsbetrieb ist im Laufe einer Generation ein korporativer Feudalismus zum Strukturproblem geworden, der Freiheit von Kunst und Wissenschaft die Wurzeln abgräbt. Das beginnt nicht erst mit Identitäts-politischen Vorgaben für die Vergabe von Mitteln. Schon die Prozedur, sich auf "Calls" bewerben zu müssen, um minimaler Chancen und geringfügigen Einkommens willen, schon priorisierende "Förderung" stellt die Logik der Wissenschaftsfreiheit durch Selbstorganisation auf den formalen Kopf: soll der Staat doch gewährleisten, dass gute Wissenschaft sich als Selbstzweck selbst und ihren gesellschaftlichen Nutzen aus ihrer Würde erklärt. Stattdessen sedimentieren Machtformationen immer tiefer in die Seele des Suchens nach Wahrheit, des Strebens nach Aufklärung. Selbst wenn die Nutznießer ihren Job richtig machen, machen sie als "Call-boys" und "Call-girls" nicht den richtigen Job, dem die Garantie der Freiheit der Wissenschaft gilt.
Die arbeitsteilige Organisation der Wissenschaft muss deren Freiheit offen dienen - aus der sich die Qualität selbst ergibt. Inter- und trans-disziplinäre Kompetenz kann sonst nicht konstitutiv wirksam werden, Kreativität und gewissenhafte Souveränität degenerieren zu Produktion für Kennzahlen. Das hängt nicht nur mit dem Misstrauens-Vorbehalt öffentlicher Verwaltung zusammen, sondern auch mit dem ungeklärten Selbstverständnis der Fachdisziplinen bzw. programmatisch verfassten Fächer, die sich nicht nach wissenschaftlichen Maßstäben und Verfahren weiterentwickeln und umstrukturieren sondern aus politischen Prozessen. Dabei geht der Kredit der Wissenschaft selbst verloren, sie wird zur Erfüllungsgehilfin anstatt als unabhängige Ressource für gesellschaftliche Wertschöpfung zu wirken.
Besonders bedeutend wäre hier unter Bedingungen des 21. Jahrhunderts die Funktion der Philosophie, als Vermögen der Welt-Prinzipien, der Geschichte als Fakultät der Einordnung, der Kultur als Horizont des Verstehens - die als solche in die Wissenschaft und durch diese in die Gesellschaft hinein das Geschäft der Aufklärung betreiben. Daran lassen sich die übergreifenden Fragen der materialen Weltwissenschaften Physik und Biologie usw. anschließen, um schließlich den gesamten Kanon im Sinne der freien Wissenschaft zu orchestrieren. Das durchzuarbeiten wäre die allererste Aufgabe einer Wissenschaft, die sich als frei verstehen kann.
Ein integriertes Wissenschaftssystem, das auf dieser weltweit deklarierten normativen Grundlage (Wissenschaftsfreiheit) die inneren Bezüge zwischen Effizienz und Effektivität wirksam macht, kann zu den kulturellen und ordnungspolitischen Kohärenz-Impulsen beitragen, die einer global verflochtenen Wissens-Organisation gerecht wird. Insbesondere auf der Grundlage einer guten arbeitsteiligen Zusammenarbeit innerhalb der Geisteswissenschaften können empirische Sozial- und Naturwissenschaften ihre epistemischen Abhängigkeiten im Sinne der Wahrheitssuche gestalten. Aus dieser autonomen Professionalität kann im Spiel der Kultur substantielles geistiges Leben wachsen, das jedes "Innovations"-Dekret als Totgeburt in den Schatten stellt und aus sich heraus gesellschaftlichen Gütern wie Gesundheit und Gerechtigkeit dient. Hier können auch die Grundlagen einer Sprachen und Kulturen übergreifenden Ethik die Bedingungen für vernünftige internationale Verständigung und Zusammenarbeit neu gefasst werden. Die emanzipierte Wissenschaft als Ausdruck der Freiheit und kritische Kraft kann damit einen Beitrag zur Orientierung im gesellschaftlichen Diskurs ebenso wir in der Gestaltung des Wirtschaftslebens leisten.
Demokratie ist eine Aufgabe, ein Versprechen, das wir uns selbst geben und das wir immer wieder erneuern müssen. Eine besondere Verantwortung haben wir Heutigen für die Zukunft. Wir müssen die Freiheit so verteidigen und organisieren, dass unser Nachwuchs und künftige Generationen sich selbst bestimmen können. Deswegen müssen Gesundheit, Bildung und Würde der Kinder als letzter objektiver Maßstab für die Entwicklung der Freiheit interpretiert werden. Die Freiheit der Wissenschaft spielt dann der Freiheit der Kunst als Ausdruck unserer Menschlichkeit in die Hände.
Für das gute Leben geht es um die Entscheidung, Mensch zu sein.
Salvatore Lavecchia (Philosophie, Universität Udine)
Risiko-Management pur
Der tiefere Sinn der genialen Ironie in den Videos der SchauspielerInnen von #allesdichtmachen verdichtet sich in der folgenden Frage: Wollen wir wirklich unsere Gemeinschaft so gestalten, dass irgendeine zentralisierte Instanz uns mehr oder weniger zwingt, jedem Mitmenschen prioritär als einer möglichen Infektionsquelle zu begegnen? Anders formuliert: Wollen wir unsere Kinder in Gesellschaften aufwachsen lassen, die ausschließlich auf Basis der Angst vor dem Tode gestaltet werden, so wie es seit über einem Jahr in zu vielen Gesellschaften geschieht?
Vom Schauspiel autoritärer Konzepte der Gesellschaftsgestaltung, das seit einem Jahr so publikumswirksam aufgeführt wird, wäre, zuspitzend, Folgendes festzuhalten: Nicht einmal der schlimmsten Seuche gegenüber dürfte sich eine authentisch liberale, das heißt die Menschenwürde als unantastbar wahrnehmende Gesellschaft, derartige Konzepte flächendeckend erlauben.
Die Corona-Strategie erinnert an Ansätze früherer, längst überholter Onkologie, wo man gesunde Bestandteile des Organismus “vorsichtshalber” operativ entfernte, weil sie theoretisch vom Krebs befallen werden können. Genauso verfährt bisher, auf einer viel breiteren Skala, die Corona-Politik: Alles kulturell-geistig, rechtlich, wirtschaftlich Gesunde im Individuum und in der Gesellschaft wird “vorsichtshalber” lahmgelegt, um zu vermeiden, dass es von einem Infekt betroffen wird. Als ob ein Risiko-Manager ausgehend von statistischen Modellen entscheiden würde, ein Unternehmen zu zerschlagen, um rein theoretische Risiken zu vermeiden, denen das Unternehmen vielleicht begegnen könnte. Diese bedenklichen Konsequenzen einer “Risiko-Management-Pur-Politik” werden in #allesdichtmachen feinsinnig und vielfältig demaskiert: Die Konsequenzen eines Risiko-Managements, dessen Wahrnehmung so wuchernd ist, dass es im Menschlichen nur Gefahren sieht, denen gegenüber wir uns auch gegen eine sokratisch aufrüttelnde Ironie impfen lassen sollten. Wird uns bald jemand davon überzeugen wollen, uns auch gegen das Menschliche schlechthin – und zum Menschlichen gehört Risiko, sowie Respekt für alle Leidenden, nicht aber die obsessive, lähmende Angst, die alle Menschen zu KrankheitserregerInnen herabwürdigt – impfen zu lassen?
Ole Döring (Philosophie und Sinologie, Hunan Normal University)
Was sagst du da? Stimmen aus der Verzweiflung
Philosophische Gedanken zum kritischen Lesen und "#allesdichtmachen" (Teil 1)
Sie treten aus ihrem Leben in unseren Horizont: Menschen wie du und ich.
Sie lassen uns hineinblicken, in den Resonanzraum normaler Bürger unter Bedingungen unserer Coronapolitik. Was geschieht da mit ihnen, was macht das mit mir?
Es sind Profis. Sie lassen mich vergessen, dass menschliches Verstehen am besten gelingt, indem es aus dem Rahmen fällt. Das Framing tritt zurück, das Narrativ wird unsichtbar, ich sehe nicht mit den Augen, höre nicht mit den Ohren, sondern verbinde meine Vernunft durch mein fühlendes Herz direkt mit dem, der da zu mir spricht. Jedes Vertrauen birgt ein Risiko missbraucht zu werden. Mein Zutrauen in die gute Vernunft des Menschseins gewährt diesen Kredit - ich unterstelle eine integre, ehrliche Aussage-Absicht und bin mir dabei voll über den inszenierten Charakter im Klaren. Das ist der Preis der Würde. Das Tor zur Arbeit der Demokratie.
Darf der (Schauspieler) das? Selbstverständlich, wenn jeder wissen kann, was ein Schauspieler ist. Es liegt im Wesen der Persona, dass der Darsteller hinter die Vorstellung zurücktritt. Die Darstellung ist noch seine Sache, die Vorstellung gehört der Allmende, der Öffentlichkeit.
Was ich sehe sind Schlaglichter aus dem traumatisierten Alltag ganz normaler, gut situierter Leute. Es geht nicht um blutiges Leid oder schreiende Qual, nicht um Folter oder Terror. Es geht darum, wie uns die Normalität abhandenkommt. Der Raum, in dem Gesellschaft Heimat bietet.
Du sagst, du bist verloren. Du sagst du findest keinen Halt. Du fühlst dich hilflos, findest dich machtlos. Und du stehst isoliert im Raum deiner Fragen. Du bist verrückt, da unser soziales Koordinatensystem sich, dich aufreibt.
Ich sehe tastende Gesten, suchende Sprache, Ansätze das Spiel zu spielen, ohne die Regeln zu begreifen. Daraus aufsteigend, aufbrechend, sich hervor quälend, werde ich Zeuge von Bewältigungsstrategien, die sich aus der Küche, dem Wohn- und Arbeitszimmer, der nackten Wand an mich drängen. Manchmal finde ich einen Blick auf das Fenster der Gefangenschaft, in die Fremdheit einer, ausgeschlossenen, Lebenswelt, unerreichbar.
Ich höre Hilferufe. Mal ersterbend, mal aggressiv, mal kokett - eine schrill tönende Bandbreite, die Kakophonie seelischer Verheerung. Die Szenen erscheinen als gedrängte Menagerie der Ausdrucksformen der Verzweiflung, zwischen Etiketten und Ikonen des Wohlstands. Menschengesichter verbinden die Zwischentöne. Therapeutisch beleuchten sie die Schattierungen von Grau.
Kann man diese Hilfe verweigern? Wenn es so konkret wird. Das Leben, die Zukunft unserer Kinder, die Gesundheit der Herzen, die soziale Natur des Menschen, die Würde unserer politischen Gemeinschaft? Leben durch Solidarität? Augenmaß durch Verstehen? Zukunft durch Liebe?
Wir sehen: der Staat leistet das nicht. Eine mitleidlose Gesellschaft hilft nicht.
Die abgründig schlichte Wahrheit: "das Kind am Ende lassen wir immer weg" (Uhl). So geht es nicht weiter. Die Coronapolitik ist nur die Entschleierung. Machen wir uns in der allgegenwärtigen Rechthaberei nichts vor, überhören wir im Getwitter nicht die nüchterne Einsicht: wir müssen unsere Demokratie neu erfinden.
Was hier himmelschreiend um Ausdruck ringt ist der Überlebensinstinkt unserer Kultur. Ermutigende Ansätze zur Therapie gibt es, wenn bezeichnender Weise einige Ärzte verstehen und unterstützen.
Wäre das nicht eine Aufgabe für die freie Wissenschaft? Anders gefragt: wie frei wollen wir als Wissenschaftler sein?
Ole Döring (Philosophie und Sinologie, Hunan Normal University)
Was lesen wir da?
Philosophische Gedanken zum kritischen Lesen und "#allesdichtmachen" (Teil 2)
Ob dies ein Fall von "Scripted Reality" (SR) ist? Bemühen wir Wikipedia, so ist SR "ein Genre des Reality-TV, in dem die Dokumentation realer Ereignisse vorgetäuscht wird". Umgekehrt verhält es sich bei der Inszenierung: Nichts wird vorgetäuscht, niemand wird getäuscht, nur Konventionen werden gebrochen, vielfältig und kunstvoll, aber nicht einmal originell. Es wird nichts dokumentiert, lebendige Masken durchmessen die Absurdität unserer Existenz, bezeugen die innere Zerrüttung der Menschlichkeit.
Verstehen wir SR in einem allgemeineren Sinn als philosophische Hypothese, dann geht es um die grundlegende Einsicht, dass Realitätsauffassungen und Aussagen immer gebunden sind an kulturelle Konstruktion. Wir haben dann gar keine Wahl und sehen uns immer in der Pflicht zu interpretieren. Trivial ist das nicht, sondern universal. Es enthält die Aufgabe, subjektive Erfahrungsräume anzuerkennen und Regeln zu beachten. Dabei können wir Einsichten und Methoden der klassischen Hermeneutik für größere Zusammenhänge öffnen, Schreiben und Lesen als allgemeine ontologische Kausalitäten verstehen, zwischen kulturellen Systemen im Hier und Jetzt und über Zeiten hinweg. Damit ist immer die Anerkennung der Manipulation als kommunikatives Risiko verbunden, der Preis der Verständigung. So weit so gut. Diese Einsicht hat zwei Seiten, die sich nicht auf die extreme Schattierung von Lüge und Täuschung reduzieren lassen. In Wirklichkeit gibt es keine Stereotypen. Mit denen kann man nur spielen. Was es gibt ist der Mensch in Verantwortung.
SR ist also kein Einwand, der diese Aktion diskreditieren könnte, weder im engeren noch im weiteren Verständnis. Denn sie steht für sich im öffentlichen Raum. Ehe man sich daran macht, die Maßstäbe der Identitären für Deutschland anzulegen, gebieten es Respekt und Klugheit, die Regeln und Erfahrungen unserer Kultur anzulegen. Wir brauchen sie nicht, die konzeptuellen Treiber der Spaltung. Wir sehen jeden Menschen als Wert an sich. Wer gegen den Identitätswahn auf die Tücken der Konformität hinweist, öffnet sich, zeigt sich in seiner Verletzlichkeit und erinnert an übergeordnetes Wissen unserer Kultur. Dort liegen Heilkräfte gegen die zunehmende Spaltung, Eskalation und Entfremdung unserer Gesellschaft.
Der Anglizismus verbrämt, dass es sich hier um einen alten Hut handelt. Die Postmoderne, der Dekonstruktivismus, aber auch schon frühere Formen des Positivismus oder Nominalismus stellten das "geistige Band" analytischen Wissens in Frage oder wiesen auf das Gemachte des Gegebenen hin. Heute besteht die Spannung zwischen der Entscheidung für Technik als Praxis oder Praxis als Technik. Der Hang des Konstruktivismus zum ethischen Relativismus und moralischen Zynismus steht im Raum und ruft nach Korrektur. Damit wir klarer sehen können, brauchen wir Freiheit. Werden wir also konstruktiv.
Es gibt zwei Typen konstruktiver Sozialtechniken. Sie sind elementar und axiomatisch: sie entscheiden, welche Art Welt wir daraus ermöglichen und bauen können. Kritisch zu lesen, bedeutet, zu wissen welche dieser Techniken man verwendet. Das kann man nur wissen, wenn man beide versteht und sich entscheidet.
Die erste, der Pannwitz-Blick, liest aus. Manches Leben ist unserer Zuwendung wert, anderes stört. Ob diese Auslese zu Ausgrenzung oder Vernichtung führt, ist eine Frage der Rahmenbedingungen. Der Blick ist entscheidend. Nach mehr oder weniger deutlich benannten Kriterien wird der Mensch als Mittel benutzt, als Objekt dargestellt, nach Kriterien der Ungleichheit sortiert. Dabei sieht "Pannwitz" von den Subjekten möglichst ab. Um sie als Ganze zu betrachten, wechselt er seine Brille. Er kann das, hat sich dazu ausgebildet: Der KZ-Scherge wird nach der Arbeit zum liebevollen Familienvater unterm Dürerhasen. Der Pannwitz-Blick steht zugespitzt für die totale Auslieferung des Subjekts an die konzeptuelle Macht. Der Blick des Virologen darf nicht der Blick des Gesundheitspolitikers sein.
Die zweite, der hermeneutische Blick dagegen wendet sich dem Menschen zu, egal wie dieser in Erscheinung tritt - er geht auf seine subjektive Besonderheit. Daten kann man auslesen, Menschen nicht. Stattdessen können wir einander würdig behandeln. Die Hermeneutik ist die Kunst des Lesens, die Wissenschaft der offenen Zuwendung zum Werden des Ausdrucks. Sie ist der Ort, an dem das analytisch selektierende Urteil eingehegt wird, in Beziehungen, Abhängigkeiten, damit wir angemessen beschreiben und handeln können. Wir brauchen mehr von dieser Methode, die auf Bedeutung jenseits von Form und Intention ausgeht, Räume erschließt und offenlässt, damit wir uns im Erwägen üben. Und die damit nie fertig wird, denn nichts Menschliches ist fertig. Verstörung wird hier zum Anlass nachzufragen, nicht nachzutreten.
Der Rückzug von Beiträgen der ersten Reihe von #allesdichtmachen, aus der Darstellung in die bloße Vorstellung ist zuweilen ein starker Beleg für die Authentizität der dort gezeigten Not. Der Distanzraum des Kulturellen, eine Errungenschaft bürgerlicher Zivilisation, schnappt zusammen und frisst die zarte Artikulation im Ansatz. Die Darstellerin des mädchenhaften Menschen, der sich an einem Script festkrallt, um sich Orientierung suchend über Wasser zu halten, wurde aus ihrer Schauspielerrolle ins kalte Wasser brutalster Feindseligkeit gequält.
Welche Öffentlichkeit, welches staatliche Organ schützt diejenigen, die Schutz einfordern? Öffentliche Rede, die den anderen zum Rassisten, toxischen Mann, zur hysterischen Frau oder eitlen Rolle umetikettiert, deklassiert sich zuerst selbst. Im wohlfeilen Marktgeschrei um Twitter-Klicker, zählt offenbar der Effekt von Brot und Spielen. Wir inszenieren den Diskurs als Gladiatorenkampf, Rollen werden zugeschrieben, das identitäre Geschäft des Ausgrenzens blüht. Die Treiber übertrumpfen sich dabei, Unmenschen zu produzieren. Wie tief sind wir gesunken? Anstatt Satisfaktionsfähigkeit zur integralen Forderung der Menschheit zu machen, schaffen wir die rudimentäre Etikette des Anstands ab. So stürzen die nicht-identischen ins Bodenlose des Untermenschen. Pannwitz triumphiert.
Schaffen wir es, auszuhalten, dass wir alle aus demselben krummen Holz gewachsen sind? Arrangieren wir uns anständig miteinander, lassen wir die Macht außen vor und sparen sie auf für das legitime Gewaltmonopol. Das heißt es, unsere eigenen Werte ernst nehmen. Wer das nicht will, entscheidet sich selbst aus freien Stücken für die Distanz - man kann sich nur selbst definieren und ausgrenzen, nicht den anderen. Berechnende Grausamkeit, Kälte, Vernichtung der Verletzlichen aus der Deckung des Wolfsrudels haben eine andere Qualität als poetische Kritik an Machthabern. Was soll daran "links" sein, im Gestus des Wohlstandszynikers auf die einzuschlagen, die sich für die poor huddled masses einsetzen, ihnen Stimmen und ihrer Not Aufmerksamkeit geben? [„Give me your tired, your poor, Your huddled masses yearning to breathe free”]
In der Welt, die mit Ironie als Ausdrucksmittel nicht umgehen kann und deren Wert nicht erschließt, hätten Loriot oder Dieter Hildebrand keine Chance. In so einer Welt zu leben wäre für einen kultivierten Demokraten schlimmer als Krankheiten der Sorte Covid-19. Das Ersticken der Seele ist - noch schlimmer als das des Körpers.
Oliver Brüggemann (Chemie, Universität Linz)
Acht Milliarden Welten
Was mir meine Tätigkeiten und meine Aufenthalte in vielen Städten, Regionen, Ländern und Kontinenten immer wieder klargemacht haben: es gibt bei einer Weltbevölkerung von rund acht Milliarden Menschen im Grunde acht Milliarden Arten und Weisen, die Welt zu sehen. Jeder Einzelne hat seinen Blick, seine Sorgen und seine Berechtigung, gehört zu werden, vorausgesetzt, es spielt sich im Rahmen des Gesetzes ab.
Im Bereich der Wissenschaften sollte allen klar sein: eindeutig sind grundsätzlich nur Naturgesetze und Naturkonstanten, die wir aber zum Teil bisher auch nur oberflächlich verstehen und uns der Erkenntnis über sie erst allmählich nähern. Das hat man sich lange Zeit mit Sokrates’ weisem Wort “ich weiß, dass ich nicht weiß” bewusstgemacht.
Bei Untersuchungen komplexer Experimente, natürlicher Phänomene, unerwarteter Umwälzungen, chaotischer Abläufe und beim menschlichen Miteinander wird es häufig schon bedeutend schwieriger, die eine, die reine Wahrheit zu erkennen und zu beschreiben. Selbst wer meint, im Besitze dieser reinen Wahrheit zu sein, hüte sich davor, andere nicht mehr hören zu wollen. Vom ehernen Grundsatz der Wissenschaft einmal abgesehen, dass alles immer hinterfragt werden soll und muss, um alle Fehler ausschließen zu können und zu höherer Erkenntnis zu gelangen, muss bedacht werden, dass schon morgen das heute noch gültige Weltbild komplett zum Einsturz kommen kann. Denken wir nur an den Wandel des Bildes von Erde und Kosmos in den letzten Jahrtausenden, Stichworte Galilei und Kopernikus.
Die heutige Freiheit des Andersdenkenden ist der Schlüssel zur Erkenntnis von morgen, was auch für alle anderen Bereiche der Gesellschaft gilt. Wer Rede-, Denk- und Meinungsverbote fordert und willkürlich missliebige Ansichten sanktionieren will, versündigt sich an universellen Menschenrechten und verunmöglicht die positive Entwicklung der Menschheit.
Erinnern wir uns doch wieder an die gute Erziehung, die wir in den letzten Jahrzehnten in unseren Breiten genossen haben, welche uns Toleranz, Offenheit und Freiheit als wichtige Pfeiler unseres Miteinander gelehrt hat. Verlassen wir jedoch diesen Grundkonsens, dann bricht unter uns das leider sehr dünne Eis der Zivilisation, schneller als wir ahnen. Wer kann denn wollen, dass sich alle zukünftig nur noch anbrüllen, was durch die neuen Medien so sehr vereinfacht wurde? Wollen wir in einer solchen Gesellschaft leben? Und bedenken wir: die Schreihälse von heute sind die Angeschrienen von morgen. Kehren wir hier nicht um, wird sich die Spirale weiterdrehen, bis wir uns wieder im Mittelalter befinden und uns allen an die Gurgel gehen. Haltet ein Leute, zu Eurem eigenen Wohle!
Timon Georg Boehm (Philosophie, Weimar)
Todesstoß der Freiheit?
Ein Piks, ein Schein, die Freiheit zurück, so wird es seit kurzem in den Medien propagiert. Nachdem diese durch die Art ihrer Berichterstattung ein Angst-Narrativ zu Covid-19 aufgebaut haben, spinnen sie es nun als Heils-Narrativ weiter: Man solle sich nur impfen lassen, ein Zertifikat aufs Handy laden und alles wird gut! Back to normal. Business as usual. Diese Phantasie ist zunächst Symptom einer Haltung, nach der alles ,one click away‘ ist und man sich mit QR-Codes durchs Leben scannen kann. Und man mag argwöhnen, dass bei manchem die eigene Freizeitgestaltung dabei höher im Kurs steht als der allfällige Schutz anderer. Wie gut es dann tatsächlich wird, hängt nicht zuletzt davon ab, wie ein Körper den neuartigen mRNA-Impfmechanismus verträgt, dessen eigentliche Testphase erst jetzt in einem großen Feldversuch angelaufen ist. Redlicherweise müssten sowohl die Medien als auch die Politik wenigstens die (ohnehin nur zeitweilige) Immunität gegen die jetzt schon auftretenden adversen Reaktionen und spätere mögliche Autoimmun-Erkrankungen abwägen (gerade weil der Impfmechanismus darauf beruht, dass der eigene Körper durch eingeschleuste messenger-RNA selbst Corona-Spike-Proteine produziert). Ganz unabhängig davon – und die verbreitete Angst macht dafür blind – sind wir dabei, potenzielle Kontrollstrukturen zu errichten, die rasch und immer wieder aktualisiert werden können – bei realer oder auch nur herbeigeredeter Gefahr. Diese Strukturen werden gleichsam mitinstalliert wie die „Begegnungsmitteilungen“ auf dem Smartphone, und sind Angriffspunkte für künftige Machtausübung. In der Schweiz sollen diese durch das Covid-19-Gesetz verankert werden: unter Art. 3b ein Test- und Contact-Tracing-System und unter Art. 6a die Impf-, Test- und Genesungsnachweise. Ein Piks, ein Schein, die Freiheit zurück? Oder wird sie nicht vielmehr zu Tode gestoßen? Denn im Unterschied zum Virus werden diese Muster und Paradigmen nicht mehr verschwinden.
Timon Georg Boehm (Philosophie, Weimar)
Rückkehr zur Normalität wird es nicht geben
Indirekter Impfzwang und die Perversion der neuen Freiheit Angesichts dessen, dass der Zugang zu Anlässen nach der Vorstellung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) an eine Covid-Impfung gebunden werden soll, scheint es beruhigend, dass die Entscheidungshoheit sich impfen zu lassen bei jedem Individuum selbst verbleiben soll. Eine solche Wahlfreiheit ist aber reine Illusion.
Menschen ,funktionieren‘ anders, nämlich über Begehren und Bedürfnisse. Jeder hat in seiner Situation und Lebenslage Bedürfnisse, zu denen die Teilnahme an bestimmten Anlässen wie Ausbildungen, Meetings oder Geschäftsreisen gehört, schlicht um seinen Beruf ausüben zu können bzw. um ihn nicht zu verlieren, oder schlicht um als soziales Wesen vom gemeinschaftlichen Leben nicht ausgeschlossen zu sein. Wer diese Lebensform aufrechterhalten will, wird sich über kurz oder lang dem Druck beugen und ein „Covid-Zertifikat“ besorgen müssen, um sich als „ungefährlich“ auszuweisen.
Was aber ist der Preis der dadurch versprochenen „neuen Freiheit“? Eine Covid-Impfung, wie die „erste Phase“ des BAG vorsieht, steht nicht auf derselben Stufe wie die Empfehlung, jeden Tag ein Glas Milch zu trinken. Gerade als wissenschaftlich denkender Mensch sollte man nicht naiv an Heilversprechen glauben und gegenüber Wirkstoffen mit unverantwortlich kurzer Testphase und offenkundigen Nebenwirkungen eine gesunde Skepsis an den Tag legen. Sodann bahnt sich mit der „zweite Phase“, die Zutrittsbeschränkungen für Nicht-Geimpfte vorsieht, ein biopolitischer Skandal an.
Übersetzt heißt diese Politik, dass man den Eintritt in gewisse Zonen durch Modifikation des eigenen Körpers erkauft. Diese Modifikation ist eben nicht harmlos und deren Folgen noch völlig unabsehbar. Damit geht ein Menschenbild einher, das Menschen wie zertifizierbare, vom Fließband rollende Gegenstände ansieht. Und es ist irreführend, dies in ein Narrativ der Solidarität zu kleiden und jeden, der nicht zertifiziert ist, unter Generalverdacht zu stellen. Bislang war es üblich, Rayonverbote nur für Straftäter auszusprechen, aber die neue Logik ist konsequent: Weil die Unschuldsvermutung in dubio pro reo aufgehoben wurde (man muss nun umgekehrt seine „Gesundheit“ beweisen) ist jeder zum potenziellen Gefährder geworden. Und schlimmer noch: Durch die Impfzertifikate erhält man eine „Freiheit“ als Gnadengeschenk zurück, die einem ohnehin zusteht – nur jetzt unter veränderten Vorzeichen, dass man identifiziert, registriert und verfolgbar ist, zu welchem künftigen Zweck auch immer. Die ganze Struktur unter diesem neuen Freiheitsbegriff hat sich umpolt zu einer Kontrollstruktur. Eine Rückkehr zur Normalität wird es also entgegen dem Versprechen der „dritten Phase“ nicht geben und kann es nicht geben, weil der Boden der einstigen Normalität abgebrochen wurde.
#allesdichtmachen aus der Sicht von Wissenschaftlern
Agnes Imhof (Islamwissenschaft, Universität Erlangen-Nürnberg) zum #allesdichtmachen Video von Jan Josef Liefers
Augenzwinkernd bedankt sich Liefers bei den Medien, die „dafür sorgen, dass kein unnötiger kritischer Disput uns ablenken kann von der Zustimmung zu den sinnvollen und immer angemessenen Maßnahmen unserer Regierung … Schließlich wissen nur ganz wenige Spezialisten, was wirklich gut für uns ist.“. Gegen Ansätze von kritischem Journalismus müsse man sich wehren. „Wir sollten einfach nur allem zustimmen, und tun, was man uns sagt.“
Satire hat immer mehr als eine Bedeutung. Man kann diese Sätze als Vorwurf an die Medien verstehen. Ob man und wenn ja, wer sich diesen Schuh anziehen sollte, muss jeder selbst entscheiden. Gleichzeitig aber kann man sie aber auch anders lesen: als Hinweis auf die Bedeutung kritischer Medien. Nun liegt genau dies ja eigentlich im Selbstverständnis freier Medien, und insofern ist das Entsetzen auf den Beitrag hin nicht ganz nachvollziehbar. Schließlich fordert Liefers nur das, was die Medien nach eigenem Selbstverständnis ohnehin sein sollen. Bellen da womöglich allein die getroffenen Hunde?
Aufgewachsen in der DDR unterstützte Liefers als junger Mann die Bürgerrechtsbewegung. Ein solcher Hintergrund macht sensibel für demokratiegefährdende Elemente. Anstatt diese Stimmen zu dämonisieren, sollte man sie ernst nehmen: als Marker, die vielleicht vor allen anderen spüren, wenn sich etwas in eine gefährliche Richtung zu bewegen beginnt.
Eine Richtung, die der Schluss des Beitrags aufzeigt, wenn das Thema Humanität in den Mittelpunkt rückt. „Verzweifeln Sie ruhig – aber zweifeln Sie nicht.“ Mit bitterer Ironie karikiert Liefers die erschreckende Gleichgültigkeit, mit der über alle hinweggegangen wird, die unter den Maßnahmen leiden, die gar daran sterben. Er deckt die Gefahr auf, wenn Humanität konformem Verhalten untergeordnet wird, wie es unter autoritären Regimes der Fall ist. Der Hintergrund seiner eigenen Erfahrung mit einem solchen autoritären System oszilliert im Hintergrund, wenn Liefers dem Land den Spiegel vorhält. Man kann es als Vorwurf lesen, als Anklage. Oder als Warnung, als ein bitter vorgebrachtes „Nie wieder“. Ob man sich selbst angeklagt fühlt oder nicht, liegt auch im Auge des Betrachters. Es ist ein Allgemeinplatz in Hermeneutik und Textanalyse, dass die Perspektive des Lesers zur Interpretation beiträgt.
Vielleicht sagt die Empörung so mancher Medienschaffender mehr über deren eigenes Demokratieverständnis aus als über das von Jan Josef Liefers.
Agnes Imhof (Islamwissenschaft, Universität Erlangen-Nürnberg) zum #allesdichtmachen Video von Tina Maria Aigner
Eine philosophische Satire stellen die Betrachtungen von Tina Maria Aigner über Grundrechte dar. Die Persona der Schauspielerin sinniert in bester Heidegger’scher Manier über den Grund von Rechten:
„… und für diese Rechte braucht es einen Grund. Deshalb heißen sie ja Grundrechte. Diesen Grund zu finden ist schwierig. Denn er ist abhängig vom Inzidenzwert, vom R-Wert, von der Impfbereitschaft, von den schlimmen Nachrichten aus anderen Ländern (...) also … vielleicht lassen wir das einfach mit dem Grund (…) Unterstützen Sie die Corona-Maßnahmen. Mit und ohne Grund.“
Tina Maria Aigner hat einen Hintergrund (Ja – einen Hinter-Grund!) als Kabarettistin. Das bedeutet, dass sie – früher, als das noch möglich war, ohne Sanktionen befürchten zu müssen – die Politik auf komische Weise zu kritisieren als Beruf gewählt hat. Vorder-gründig scheint sich die Kabarettistin lustig zu machen. Aber ist das alles?
Die Spitzen richten sich gegen die Relativierung von Grundrechten durch äußere Faktoren. Damit bewegt sie sich ganz innerhalb des verfassungsmäßigen Verständnisses von Grundrechten. Wer sich also darüber empört, sollte sich vielleicht fragen, wie fest er selbst noch auf dem Boden des Grundgesetzes steht.
Der Verweis auf Heidegger kommt seitens der interpretierenden Wissenschaftlerin nicht von ungefähr. Denn der Beitrag sinniert auf hinter-gründige Art über eine zentrale Frage der Gesellschaft, über die Basiswerte der Demokratie: Braucht es einen Grund für Menschenrechte? Und wenn es einen Grund braucht – sind es dann überhaupt noch Menschenrechte? Was ist, wenn man zu tief im Grund gründelt? Wird dann alles unsichtbar und aufgewühlt, und vernebelt?
Die reductio ad absurdum ist ein beliebtes Mittel nicht nur der Rhetorik, sondern auch der Satire. Die Interpretation ist Teil des hermeneutischen Prozesses. Und so wird die geistige Blähung der post-heidegger’schen Wort-Er-Gründung unversehens zum Spiel zwischen Legitimation und Delegitimation.
Kabarett eben im besten Sinne.
Nachtrag, in Anlehnung an den großen al-Jahiz: Wenn jemand denkt, dass dieser Beitrag selbst mit dem Stilmittel der Satire spielt und dass er von einer Person geschrieben wurde, die so unanständig ist, sich nicht vorschreiben zu lassen, wen sie zu hassen hat – so liegt er damit völlig richtig.
Ole Döring (Philosophie und Sinologie, Hunan Normal University) zum #allesdichtmachen Video von Nina Gummich
Die Schauspielerin Nina Gummich spielt die Bürgerin Nina Gummich. In der Ruhe ihrer aufgeräumten Küche redet sie von Turbulenzen, Verunsicherung und Halt.
Sie hält sich flüchtig an der Gardine des Fensters, ihre Hände finden sich, ringen, nesteln an der Bluse, fingern sich zu der These, die sie stark machen soll: "Keine Meinung ist die beste Meinung!" Ist das Ausdruck von Meinungsstärke?
In rational anmutender Diktion teilt sie eine Wahrheit mit. Sie kann sagen, was gelten soll. Dabei prasselt aus den Augen in diesem gefassten, freundlichen Gesicht das kalte Feuer der Not. Etwas will nicht stimmen. Die Orientierungslosigkeit nimmt zu.
Die Worte zur Solidarität spielen auf DDR-Erfahrungen an, die Naivität der Hingabe will anstecken. Die Routine der Selbstzensur scheint durch. Aber, keck trumpft sie auf, die nette Gestalt, stolz, etwas Richtiges gelernt zu haben. Froh, etwas sagen zu können, das Halt verspricht. Die gesammelte Haltung verbraucht so viel Energie, dass für das gehauchte "fühle mich richtig gut damit" kaum Kraft bleibt. Es verliert sich im Ungefähren. Dort aber findet sie wieder schillernden Halt: eine eigene Meinung zu haben sei "krass unsolidarisch".
Was ist das für eine Gesellschaft, in der eine eigene Meinung zu haben verunsichert, anstatt zu stärken und Interesse zu wecken? Neugierde, Wissen, Zweifel, Bildung sind Etappen der Meinung. Sie hängen an der inneren Beteiligung jedes Einzelnen.
Diese junge Frau unterwirft sich selbstlos einer wohlmeinenden Fremdbestimmung. Sie gibt selbst Karrieretipps. Einfach nur mitmachen was uns aufgetragen wird ist, das verleiht Sicherheit. Aber die Haltung, Worte, Mimik und Blicke überzeugen nicht. Sie mahlen ein verstörendes Bild, des Uneigentlichen, der Fremdheit und Leere. Dafür, dass wir in der Gemeinschaft solidarisch und aufgehoben sind, ist jeder von uns verantwortlich. Der Staat ist das Instrument, nicht der Bürger.
Am Ende steht der subversiv mehrdeutige Slogan: "Keine Meinung ist die beste Meinung", bekräftigt den amorphen Urgrund der lebendigen Demokratie, die Spannung und die Macht der Sprache. Hier läßt sich durch sachte Verschiebung des Akzentes das Gegenteil von dem suggerieren was man sagt. Die Meinung kommt damit auf das weite Feld des Opportunismus, hält sich alle Optionen offen. Eben damit "befreit" sie sich von sich selbst. Da sie aber auf sich angewiesen ist, wird sie krank, macht mich krank. Gesundheit führt über die Emanzipation, die Freiheit mit Verantwortung versöhnt. Die Meinung ist ein Zwischenschritt zur Freiheit, aber nie das letzte Wort.
Zum Schluss ist der Blick erschöpft, das aufmunternde Zwinkern Fassade. Man wünscht ihr, sie möge aus ihrem Tagtraum aufwachen und sich auf einer Frühlingswiese wiederfinden. Gesund und mündig.
Mit Covid-19 hat das entweder nichts zu tun oder so viel wie mit dem Zustand unserer Demokratie.
Er sitzt in einem behaglich möblierten Wohnzimmer auf dem Sofa. Der gesammelte ältere Herr fasst sich an den Kopf. Unruhe entfaltet sich, ein augenzwinkernder Appell an das Wirverstehenunsschon, dann geht es los.
Aus seinem Schädel zieht er den Ausrufefinger und zeigt an, sich nun von allem zu distanzieren. Die formelhafte Suada, die nun folgt, bleibt eingehegt von wohlgesetzter Bürgerlichkeit. Von hier aus dekliniert er - müde, geduldig, erschöpft die vollständige Auflösung jeder Orientierung stiftenden Verbindung durch, geistig, sozial, existentiell. Dialektisch handelt er dabei sowohl die Ikonen der politischen correctness als auch die des Widerspruchs ab.
Die filigrane Fensterscheibe, glatt und scharf, markiert die Härte der Trennung. Sein Blick wechselt hin und her, Richtung Adressat und Richtung Knie - wo er vielleicht etwas konsultiert. Hinter dem Fenster eine trostlose Andeutung urbanen Lebensraums, dann wieder eine Hauswand. Er nimmt sich die Bildsuggestion der Sprache vor, konstatiert die Auflösung der Gesellschaft, um dann die zu erwartende Kritik und auch die Reaktion einiger Kollegen auf diese vorwegzunehmen. Auch die nahe Zukunft ist durchschaut, Handlungsoptionen laufen ins Leere, was da kommen kann hat den Wind in den Segeln schon verbraucht.
Das resümierende "Ich nehme Abstand" postuliert die Nichtigkeit des "Ich" und versucht, sich in diesem Selbstwiderspruch selbst zu vernichten. Nichts hat Bestand, auch die Kritik ist aussichtslos. Als all dies klar ist, stellt er seine Brille ein, hat den vollen Durchblick. Dada 2.0. Den Ausschlag gibt aber die Geste der Zuwendung. Das Menschliche hat keine guten Worte mehr, sie sind alle verbraucht. "Ich bin, manchmal auch nicht…" Damit ist jede Distanzierung gegenstandslos. Alles liegt an uns selbst.
Sämtliche Qualitäten, alle Beziehungen liegen nun Scherben. Camus läßt grüßen. Was können, was wollen wir nun damit anfangen. Wollen wir das Absurde umarmen. Zunächst einmal sichern wir das Material, um es zu sichten. Arrangieren wir uns mit dem, was da in Trümmern liegt? Arrangieren wir es neu? Um was geht es denn eigentlich - ein Leben in Würde? Dafür lohnt es sich, schon aus Selbstachtung, uns bei allen Brüchen in einer geschichtlichen und biologischen Kontinuität zu sehen.
Wir können lernen, wozu das gut war, warum es zerbrochen ist und wie wir das gute besser gestalten. Bleiben wir bei der menschlichen Form, dem Zweck der Menschheit?
Presseerklärung
der Initiatoren der Initiative Wissenschaft4#allesdichtmachen
23.05.2021
Wir sind Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen und haben die Initiative wissenschaft4#allesdichtmachen ins Leben gerufen. Ziel ist eine breite Unterstützung der Aktion #allesdichtmachen durch sachliche Kommentare, satirische Beiträge sowie Bekundungen der Solidarität und des Dankes, in Form kurzer Videos und Texte. Im Grundgesetz stehen die Freiheit von Wissenschaft und Kunst direkt nebeneinander. Wird die eine eingeschränkt, betrifft das früher oder später auch die andere. Beide sind miteinander verknüpft, besonders da, wo sich Wissenschaft mit Kunst als Forschungsobjekt beschäftigt.
Für jede Demokratie muss es ein mehr als schrilles Warnsignal sein, wenn nicht frei gedacht, gesprochen und geschrieben werden darf. Die satirische, kritisch scherzende und spielerische Auseinandersetzung mit politischen und gesellschaftlichen Themen ist ein Lebenselixier unserer freiheitlichen Demokratie und ihre Legitimität sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Viele der Reaktionen auf die Aktion #allesdichtmachen führen allerdings schmerzhaft vor Augen, dass die Fähigkeit zum kritischen Rezipieren in der Gesellschaft offenbar keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Die Fähigkeit, einen Text oder einen Film kritisch, d.h. mit der Fähigkeit zur Unterscheidung, kurz: analytisch zu betrachten, ist eine demokratische Basiskompetenz. Offenbar braucht man darin hierzulande wieder Nachhilfe. Zu diesem Zweck werden wir zusätzlich kurze Interpretationshilfen für einzelne #allesdichtmachen-Videos zur Verfügung stellen. Die so entstehende Materialsammlung steht für die wissenschaftliche Forschung zu Demokratiekompetenz zur Verfügung.
Die Initiatoren von wissenschaft4allesdichtmachen sprechen mit dieser Presseerklärung lediglich für sich. Die Gruppe der teilnehmenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hat keinen Sprecher und keine gemeinsame Stimme. Die Initiative zeichnet sich durch große Expertise und ein weites Meinungsspektrum aus, jeder spricht für sich selbst.
Die ersten Beiträge sind ab Sonntag, 23.05.2021, auf der Internetseite wissenschaft4allesdichtmachen.de, die Videos außerdem auf den YouTube Kanälen #allesdichtmachen und wissenschaft4#allesdichtmachen einsehbar. Weitere Beiträge von Wissenschaftlern können jederzeit per E-Mail (Texte bzw. Video-Downloadlinks) an wissenschaft@wissenschaft4allesdichtmachen.de eingereicht werden.
Agnes Imhof, Ole Döring und Tobias Unruh
für die Initiatoren von wissenschaft4#allesdichtmachen
Videos auf YouTube-Kanal wissenschaft4#allesdichtmachen Impressum Datenschutzerklärung